Staatsversagen wegen unzureichender Wahrnehmung staatlicher Aufgaben & Pflichten bei 5G/Mobilfunk

Internationale und nationale Gremien sehen die Notwendigkeit vorsorgender Maßnahmen

Die Sichtweise staatlicher Stellen sowie angewendete Regeln zur Beurteilung und Einschätzung der Risiken und Gefahren durch Mobilfunkstrahlung machen deutlich, dass der tatsächlichen Exposition und den daraus entstehenden Gesundheits- und Umweltwirkungen nicht ausreichend begegnet wird. Staatliches und kommunales Handeln wird daher dringend fortentwickelt und ergänzt werden müssen. So stellt ein Rechtsgutachten aus Dänemark fest, dass der neue Mobilfunkstandard 5G gegen Menschenrechts- und Umweltgesetze der Europäischen Union verstößt (12). Auch das Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mahnte im Januar 2020 zum Thema „5G-Mobilfunk und Gesundheit“ gegenüber dem Österreichischen Parlament als Auftraggeber unter anderen, dass beim Mobilfunk allgemein das oben angerissene breite Spektrum von gesundheitlichen Effekten bei den großen exponierten Populationen ein erhebliches – wenn auch ungewisses – Schadenspotenzial umfasst (ITA 2020: 6).

Hinsichtlich der neuen Mobilfunkfrequenzen nahe dem Millimeterwellenbereich werden – unter Hinweis auf erhebliche Wissenslücken – mögliche Schädigungen im Bereich der Augen und der Haut angesprochen. Ebenfalls wird auf begründete Wirkhypothesen in Bezug auf kleine und sehr kleine Organismen (Insekten, Pilze und Bakterien) verwiesen. In den untersuchten Stellungnahmen der internationalen und nationalen Gremien wird die allgemeine Notwendigkeit vorsorgender Maßnahmen gesehen. Gerade weil eine robustere Evidenzsituation nicht absehbar bzw. unwahrscheinlich ist, empfiehlt das Institut unter anderem eine umsichtige Vermeidung, auch bis zur Anwendung des ALATA-Prinzips („as low as technically achievable“).

Das Problem des „wissenschaftlichen Nachweises“

Die von der ITA (2020) weltweit zusammengetragenen Stellungnahmen machen deutlich, dass erhebliche Unterschiede in der Beurteilung bzw. Abschätzung der gesundheitlichen Wirkung von Mobilfunkstrahlung bestehen. Es ist daher zu fragen, woran das liegt und warum beispielsweise das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Deutschland mit seinen Beurteilungen eine so enorme Abweichung gegenüber anderen Gremien aufweist. Dies liegt offensichtlich an der dort aufgestellten Forderung eines ausreichenden „wissenschaftlichen Nachweises“ der Einwirkungen bzw. gesundheitlicher Effekte durch EMF als Auslöser für Maßnahmen. Die wissenschaftliche Unzulänglichkeit eines solchen Ansatzes soll daher kurz angesprochen werden.
Gerade bei Noxen mit geringer Dosis, bei langzeitigen, schleichenden oder hinsichtlich ihrer Wirkungen nur unspezifisch einzuordnenden Effekte bleiben entsprechende Maßnahmen zum Schutz von Menschen und Umwelt oft aus, da ein solcher Nachweis schwierig zu führen ist. Obwohl häufig wissenschaftliche Untersuchungen bei entsprechender Exposition (z. B. beim Menschen) gesundheitlich relevante Effekte anzeigen und Maßnahmen zur Begrenzung solcher Wirkungen durch Gesetzgebung und Vollzug erwarten lassen. Es stellt sich daher die Frage nach den Hintergründen solcher Unterlassungen (Kühling 2020).

Das generelle Versagen in Fragen einer angemessenen staatlichen Regulierung von Umweltnoxen ist mit der bekannten Studie „Späte Lehren aus frühen Warnungen“ (EUA 2016) hinreichend dokumentiert und belegt einerseits eine oft unwirksame gesellschaftlich-politische Steuerung, da häufig wirtschaftliche und andere Interessen entgegenstehen. Andererseits begegnen uns im Fall der HF-EMF „Entwarnungen“ bei vorliegenden Untersuchungen, wenn – trotz vorliegender Hinweise auf relevante Effekte – Fragen zu fehlenden Maßnahmen gegenüber EMF damit beantwortet werden, die Effekte seien „wissenschaftlich nicht nachgewiesen“. Zunächst heißt das nicht, dass wissenschaftliche Studien fehlen, die Effekte etc. aufzeigen, also Wirkungen beschreiben, die in mehr oder weniger aufwendigen Studien festgestellt wurden. Dagegen wird mit dieser Formulierung ausgedrückt, dass – in einem (eingeschränkten) naturwissenschaftlichen Verständnis – auch kein Wirkungsmechanismus als Dosis-Wirkung-Beziehung (13) („Kausalbezug“ oder klare „Evidenz“ einer Aussage) bekannt ist. Ein solcher Kausalbezug soll den Zusammenhang zwischen der ursächlich einwirkenden Noxe und der konkreten Wirkung in einem Zielorgan zuverlässig und nachvollziehbar beschreiben. In wissenschaftlichen Studien aufgezeigte Effekte (oft sogar als statistisch signifikant ermittelt oder auch als „Hinweise“, „Beobachtungen“ o. ä. bezeichnet) werden also als „nicht nachgewiesen“ herabgestuft weil man nicht weiß, warum diese Effekte auftreten. Mit der gleichen Logik könnte man die Existenz des Universums in Zweifel ziehen, denn dessen Ursache kann auch niemand schlüssig erklären.

Unwissenschaftliche Arbeitsweise durch Verkürzung auf den kausal erklärbaren Wirkungsbezug

Oft liegen aber große Zeitunterschiede zwischen der Einwirkung einer Noxe und den dadurch hervorgerufenen Effekten oder auch lange Einwirkungszeiten mit geringer Dosis vor (wie beim Risiko der Tumorverstärkung oder Krebsentstehung), was sich dem toxikologisch geführten kausalen Nachweis (hier Ursache, da Wirkung) oft entzieht. Üblicherweise greift man dann auf epidemiologische Erkenntnisse zurück, die inzwischen zwar vorliegen (Hardell et al. 2018), aber offiziell nicht anerkannt werden. Verstärkt wird dieses Dilemma i. d. R. durch die begrenzte Sicht auf die lediglich einzeln einwirkende Noxe, obwohl in der Realität Kombinationswirkungen zwischen verschiedenen Noxen bestehen oder auch Mehrfachbelastungen vorliegen (ausführlich hierzu: Kühling 2012). Zusätzlich wird die oft nicht eindeutige „Bewertung“ eines beobachteten gesundheitlichen Effekts hinsichtlich seiner Schwere gern „der Wissenschaft“ überlassen, obwohl hier subjektiv wertende (also nicht objektiv wissenschaftlich begründbare) Haltungen nicht auszuschließen sind (Kühling 2020).

Man behilft sich mit der Schwelle zu einer Krankheitswirkung (sog. „Adversität“), die möglichst fachlich neutral definiert werden sollte. Ist die Beurteilung eines adversen Effekts schon in naturwissenschaftlicher Hinsicht schwierig oder kaum eindeutig, öffnet die Bewertung der noch hinnehmbaren oder tolerierbaren Wirkung weiteren Spielraum. Dem trägt die Definition der VDI-Richtlinie 2308 (VDI 2009) Rechnung, wenn die Schwelle zur adversen, schädlichen Wirkung als Grund für Schutzmaßnahmen auch deutlich in Richtung der gesellschaftlich determinierten und unerwünschten Wirkung verschoben wird. Hiermit wird deutlich, dass eine Beurteilung von gesundheitlichen Effekten und nicht mehr tolerierbaren Wirkungen in keiner Weise allein in der Hand der Fachwissenschaft liegen darf und kann. Das Vorgehen oder Verfahren einer gesellschaftlich determinierten Beurteilung und damit auch Entscheidung muss letztlich legislativ definiert bzw. festgelegt werden, um die subjektiv wertenden Gehalte solcher Urteile angemessen aufzufangen bzw. abzuwägen und einfließen zu lassen.

Umweltpolitischer Systemfehler bei der Definition von Risiko

Es findet also bei der Forderung nach Kausalität eine Verkürzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen über tatsächlich gefundene Wirkungen statt und eine wissenschaftlich begründete, auch rechtlich einzuordnende „Besorgnis“ wird übergangen. Wenn Gesetzgebung und Vollzug ein von der Sach- oder auch Rechtslage her erforderliches „Tätig werden“ unterlassen und sich darauf berufen, es sei „kein wissenschaftlicher Nachweis“ gegeben, entziehen sie sich ihrer Verantwortung. Man kann auch einen umweltpolitischen Systemfehler ausmachen, wenn eine adäquate Risikobewertung nicht normiert bzw. vorgegeben wird. Dies kann in gewisser Weise als Staatsversagen bezeichnet werden. Denn seit geraumer Zeit ist ein fundiertes Verfahren zur Operationalisierung oder Konkretisierung – sogar mit einem Gesetzesvorschlag versehen – entwickelt (Risikokommission 2003), wurde aber nie umgesetzt. Die Ausarbeitung dazu macht deutlich, dass eine Abwälzung der Risikobewertung allein auf die Medizin- bzw. Naturwissenschaft aus bewertungsmethodischer Sicht fehl geht. Eine gesellschaftliche Beurteilung von Fragen der Zumutbarkeit einer Wirkung oder Belastung sollte stets im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens bestimmt werden, wie es dort entwickelt wurde. Das heute zu beklagende Beurteilungsdilemma kann also nur in einem offenen Prozess mit allen fachlich kompetenten (auch unabhängigen) Experten und den gesellschaftlichen (pluralistischen) Gruppen aufgelöst werden. Nicht zuletzt aus der mangelnden staatlichen Herangehensweise an dieses Problem kann sich auch die Motivation für konkrete Gebietskörperschaften entwickeln, eine adäquate Beurteilung – zumindest für die örtliche Situation – vorzunehmen.

Besorgnis“-Maßstab ist entscheidend für die Vorsorge

Die staatliche Fürsorge (gemäß Art. 20 Abs. 1 GG) oder staatliche Schutzpflicht (Art. 2 Abs. 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“) fordern auch aus einem weiteren Grund Maßnahmen heraus, die sich nicht hinter dem nicht erbrachten wissenschaftlichen Nachweis verstecken können. Hier sind nachfolgend insbesondere die hoheitliche räumliche Planung und das umweltpolitische Vorsorgeprinzip anzusprechen, welche nicht nur bei hinreichender Wahrscheinlichkeit eines Effektes bzw. einer Wirkung bereits Maßnahmen erlauben oder einfordern, sondern bereits die begründete Besorgnis als Maßstab verwenden kann. Solche Maßnahmen werden auch deshalb erforderlich, weil die Vorsorge explizit im „Mutter“-Gesetz BImSchG deutlich angesprochen ist, aber für die HF-EMF in der 26. BImSchV nicht konkretisiert wird. Zwar findet sich der Begriff Vorsorge ausdrücklich im Anwendungsbereich § 1 Abs. 1 der 26. BimSchV, konkretisiert diese Vorsorge aber lediglich in § 4 für Niederfrequenzanlagen. Gemäß Begründung zur 26. BImSchV hat der Gesetzgeber gänzlich davon abgesehen, Anforderungen zur Vorsorge und zum Schutz vor nichtthermischen Wirkungen durch nichtionisierende Strahlung aufzunehmen. Im Grunde ist es nicht nachvollziehbar, warum im Bereich niederfrequenter Felder u. a. ein Minimierungsgebot eingeführt wurde mit dem Anspruch, Emissionen so weit wie möglich zu vermindern (was im Übrigen auch dem § 50 BimSchG entspricht), den HF-EMF dagegen eine solche Vorsorge versagt wird. Diesem Mangel kann (und muss) mit der Gesamträumlichen Planung nun abgeholfen werden.

 

Vorsorge greift bei einem Gefahrenverdacht oder Besorgnispotenzial

Im Rahmen der hoheitlichen Entscheidungen nach dem Planungs- bzw. Planfeststellungsrecht ist insbesondere die Frage der anzustrebenden Immissionsqualität (dem anzustrebenden Schutzniveau) zu klären. Mit der Diskussion zum Schutz der Umwelt seit den 1970er Jahren wurde eine Umkehr vollzogen vom korrigierenden Schutz bei Schäden und Gefahren hin zu einer vorsorgenden und vorausschauenden Planung der Umweltqualität.

Vorsorge meint, dass schon vor der Schädlichkeitsgrenze einem Schädlichkeitsverdacht vorgebeugt werden soll, verlangt nach einem ausreichenden Sicherheitsabstand von der Schädlichkeitsgrenze, tritt ein, wenn bei zeitlich entfernten Risiken der spätere Schadenseintritt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann oder wenn ein Risiko nicht mit der für die Gefahrenbeurteilung nötigen Gewissheit abgeschätzt werden kann. Vorsorge kann Risikominimierung bereits dann verlangen, wenn kausale, empirische oder statistische Verursachungszusammenhänge nicht oder nicht hinreichend bekannt oder nachweisbar sind (Di Fabio 1991: 357). Vorsorge setzt auch ein bei Umweltbelastungen, die für sich genommen ungefährlich, aber im Zusammenwirken mit anderen an sich auch ungefährlichen Belastungen schädlich oder vermeidbar sind (Kloepfer 1993: 73).

[…]

Die Europäische Kommission und EU-Rechtsprechung (EUGH) formulieren:

„Wenn das Vorliegen und der Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit ungewiss sind, können die Organe Schutzmaßnahmen treffen, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt wird“ (EU 2000: 9, 20f).

Die an anderer Stelle kritisch beleuchteten Begriffe „Nachweis“, „Kausalität“ oder „Evidenz“ sind daher in der Vorsorge nicht wirksam. […]

 

Erläuterungen:

(12) https://ehtrust.org/5g-violates-human-rights-and-environmental-law-states-legal-opinion-out-of-denmark/ Jensen, Christian: Legal Opinion on wether it would be in contravention of human rights and environmental law to establish the 5G-system in Denmark. Final danish version translated into english. 4.5.2019. – https://freiburg.5g-frei.org/wp-content/uploads/5G-Danish-legal-opinion-Jensen-2019.pdf

(ITA 2020: 6) ITA – Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) (Hrsg.) (2020): 5G-Mobilfunk und Gesundheit – Die aktuelle Einschätzung des Evidenzstandes zu möglichen Gesundheitsrisiken von elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks durch anerkannte wissenschaftliche Gremien. Wien.  – ITA_5G-Gesundheit_Endbericht_final_2020

(Kühling 2020) Kühling, W. (2020): Wissenschaft verkehrt, oder: Wie Gesetzgebung und Vollzug wissenschaftliche Erkenntnisse missbrauchen. Dargestellt am Beispiel elektromagnetischer Felder. In: umwelt medizin gesellschaft 33 1/2020: 11-18. – https://freiburg.5g-frei.org/wp-content/uploads/Kuehling-Wilfried_Wissenschaft-verkehrt-Beispiel-EMF_2020.pdf

(EUA 2016) EUA – Europäische Umweltagentur (2016): Späte Lehren aus frühen Warnungen: Wissenschaft, Vorsorge, Innovation. EUA-Bericht Nr. 1/2013, Kopenhagen. – https://www.eea.europa.eu/de/publications/late-lessons-2-de

(Hardell et al. 2018) Hardell, L.; Carlberg, M.; Hedendahl (2018): Kommentar zu technischen Berichten des National Toxicology Program (NTP) zu Untersuchungen über die Toxikologie und Karzinogenese bei einer Ganzkörperexposition von Ratten und Mäusen mit Mobiltelefonstrahlung. [https://www.emfdata.org/de/dokumentationen/detail?id=216; 03.01.2020].

(13) Die Risikokommission (2003) beschreibt eine Dosis-Wirkungs-Beziehung als (funktionale) Beziehung zwischen der quantitativ gemessenen Präsenz, z. B. Konzentration einer Noxe und der dadurch verursachten Wirkung beim Zielorganismus.

(Kühling 2012) Kühling, W. (2012): Mehrfachbelastungen durch verschiedenartige Umwelteinwirkungen. In: Bolte G., Bunge C., Hornberg C., Köckler H., Mielck A. (Hrsg.): Umweltgerechtigkeit. Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit: Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven. Bern: 135–150.

(Risikokommission 2003) Risikokommission – Ad hoc-Kommission „Neuordnung der Verfahren und Organisationsstrukturen zur Risikobewertung und Standardsetzung im gesundheitlichen Umweltschutz der Bundesrepublik Deutschland“ (Hrsg.) (2003): Abschlussbericht der Risikokommission, Berlin. [http://www.apug.de/risiken/risikokommission/index.htm; 03.10.2020].

(Di Fabio 1991: 357) Di Fabio, U. (1991): Entscheidungsprobleme der Risikoverwaltung. In: Natur und Recht 13 (8).

(Kloepfer 1993: 73) Kloepfer, M. (1993): Handeln unter Unsicherheit im Umweltstaat. In: Gethmann, C. F.; Kloepfer, M.: Handeln unter Risiko im Umweltstaat: 55-98.

(EU 2000: 9, 20f) EU – Kommission der Europäischen Gemeinschaften – Mitteilung der Kommission (2000): Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips. KOM (2000) 1 endgültig, Brüssel, 2.2.2000. [http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2000:0001:FIN:DE:PDF; 02.10.2020].

 

Glossar/Abkürzungen:

5G: 5. Generation der Mobilfunknetze (3G für UMTS und 4G für LTE bzw. LTE Advanced).

Abwägung, Abwägungsgebot: Hat in vielen gesetzlichen Regelungen seinen Niederschlag gefunden, u.a. für das Planfeststellungsverfahren und die Aufstellung der Bauleitpläne: „Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“ (§ 1 Abs. 7 BauGB). Es verlangt, dass der Planungsträger seinen Abwägungsspielraum erkennt, die Belange berücksichtigt, die nach Lage der Dinge relevant sind, ihre Bedeutung nicht verkennt und sie in einer Weise gewichtet und gegeneinander abwägt, wie es objektiv vertretbar ist.

Advers, Adversität: Im allgemeinen Gebrauch des Begriffes „advers“ ist nicht eindeutig, ob darunter lediglich „schädlich“ im Sinne von pathogen, einen vorübergehenden oder bleibenden Schaden hinterlassend bzw. „nachteilig“ für das integrale Fortbestehen des Individuums oder der Spezies verstanden wird oder ob in den Begriff auch individuell oder gesellschaftlich „unerwünschte“ Effekte eingeschlossen sind (Risikokommission 2003).

AEUV: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. ABl. EG 2012 C 326/47.

BauGB: Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634). Das BauGB regelt bundeseinheitlich das Städtebaurecht. Es enthält u. a. Vorschriften zur Bauleitplanung, Entschädigung, Bodenordnung, Enteignung und Erschließung sowie zu städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen und zur Wertermittlung.

Bauleitplanung: Gesetzlich geregeltes Verfahren in der Planungshoheit der Gemeinden, um die städtebauliche Entwicklung vorausschauend zu ordnen. Bauliche und sonstige Nutzungen der Grundstücke sind nach dem Baugesetzbuch durch Bauleitpläne vorzubereiten. Bauleitpläne sind der Flächennutzungsplan und der Bebauungsplan.

Belange: Die in § 1 Abs. 6 BGB in 13 Kategorien eingeteilten öffentlichen und privaten Belange, die bei der Aufstellung der Bauleitpläne gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind. Diese Abwägung unterliegt verschiedenen Abwägungsgeboten.

Bewertung: Die fachliche Bewertung ist zentraler Bestandteil des Planungsprozesses. Bewertungen erfolgen insbesondere bei der Analyse des Ist-Zustandes und beim Vergleich von Planungsalternativen. Über die Bewertung werden objektiv-sachliche Aussagen (Messebene) auf eine subjektiv-wertende Ebene (Wertebene) transformiert. Bewertungsmaßstäbe können wissenschaftlich begründete oder politisch festgelegte Qualitätsziele und -standards sein.

BImSchG: Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274).

BImSchV: Verordnung nach dem BImSchG.

Effekt: Folge der Einwirkung eines Umweltfaktors.

EHS: Elektrosensibilität/Elektrohypersensibilität, besondere Empfindlichkeit von Personen gegenüber EMF.

EMF: Elektromagnetische Felder, sie gehören zum Bereich der nicht ionisierenden Strahlung. Man unterscheidet diese in elektromagnetisch hochfrequente und niederfrequente Felder.

Evidenz: Offensichtlichkeit; unmittelbare, unbezweifelbare Einsicht.

Exposition: Kontakt einer Noxe mit den Schutzgütern Gesundheit oder Umwelt.

Gefahr: Zustand, Umstand oder Vorgang, aus dem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Schaden für Mensch, Umwelt oder andere Schutzgüter entstehen kann.

GG – Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

Grenzwert: Quantitative Festlegung, an deren Erreichen oder Nichterreichen rechtliche Konsequenzen geknüpft sind, im Unterschied zu Richtwerten, die nur nach Möglichkeit eingehalten werden sollen.

GSM: Heute betriebene Netze nach dem GSM-Standard (engl): Global System for Mobile communications.

HF-EMF: Hochfrequente elektromagnetische Felder.

Hochfrequenz: Frequenzbereich zwischen etwa 100 Kilohertz und 300 Gigahertz.

Immission: Immissionen im Sinne des BImSchG sind auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen (also auch niederfrequente und hochfrequente Felder).

Indoor: Mobilfunkversorgung innerhalb eines Gebäudes infolge Durchstrahlung der Gebäudehülle (Indoor-Versorgung). Dem kann mit Konzepten kleinzelliger Netze mit leistungsgeregelten Indoor-Femtozellen entgegengewirkt werden.

Kausalität: Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Sie betrifft die Abfolge von Ereignissen und Zuständen, die aufeinander bezogen sind.

Landesplanung: Teil der öffentlichen Verwaltung in den Ländern, der zusammenfassende, überörtliche, übergeordnete, den Grundsätzen der Raumordnung entsprechende Programme und Pläne aufstellt und raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen koordiniert.

Leistungsflussdichte: Bezeichnet die Dichte und die Richtung des Energietransportes (Energieflussdichte) eines elektromagnetischen Felds in der Hochfrequenzmesstechnik (meist im MHz- oder GHz-Bereich). Übliche Einheiten sind Mikrowatt pro Quadratmeter oder Milliwatt pro Quadratzentimeter.

LTE: (engl.) Long Term Evolution, eine Bezeichnung für den Mobilfunkstandard der 4. Generation.

MHz – Megahertz: Physikalische Maßeinheit für die Frequenz. Sie gibt die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde an (die D-/E-/UMTS-Netze senden etwa im Bereich von 900–2.200 MHz).

Nicht ionisierende Strahlung: Elektromagnetische Wellen, deren Energie nicht ausreicht, um andere Atome zu ionisieren. Dazu zählen insbesondere technisch genutzte Frequenzen im Bereich der Radiowellen und Mikrowellen.

Niederfrequenz: U. a. beim üblichen Haushaltsstrom bei 50 Hz Wechselstrom (und andere Frequenzen, z. B. Bahnstrom bei 16,7 Hz) treten niederfrequente elektrische und magnetische Felder auf. Daneben sind statische elektrische und magnetische Felder zu beachten.

Noxe: Träger einer potenziell schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsbelastung.

Raumordnung: Zusammenfassende, überörtliche und übergeordnete Planung zur Ordnung und Entwicklung eines Raums auf der Grundlage des (Bundes-) Raumordnungsgesetzes.

Regionalplan: Landesplanung (Raumordnung) für Teilräume des Landes. Träger sind je nach Bundesland die regionalen Planungsgemeinschaften, die Kreise, die Regierungsbezirke oder die Landesplanungsbehörde.

Richtwert: Quantifizierter Wert für Emissionen, Expositionen oder Immissionen, der nach Möglichkeit nicht unterschritten oder überschritten werden sollte.

Risiko: Qualitative und/oder quantitative Charakterisierung eines Schadens hinsichtlich der Möglichkeit seines Eintreffens und der Tragweite der Schadenswirkung.

Roaming (Lokales): Fähigkeit eines Mobilfunknetz-Teilnehmers, auch in einem fremden Netzwerk zu empfangen und zu senden. Sollte auch für örtliche Sendeanlagen gelten, um die Anzahl der Antennen zu reduzieren.

Schaden: Negativ bewertete Folge eines Ereignisses oder einer Handlung.

Schutzgüter: Als Schutzgüter haben sich mit der Einführung des UVPG etabliert: Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit; Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt; Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft; kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter sowie die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern.

Small Cell: (engl.) „Kleine Zelle“ im Vergleich zu den relativ großen Funkzellen, wie sie bei Funkbasisstationen der Mobilfunknetze bisher üblich sind. Meist mit geringerer Ausgangsleistung.

Smart Grid: (engl.) als Begriff für ein intelligentes Stromnetz zur kommunikativen Vernetzung und Steuerung (von Stromerzeugern, Speichern, Verbrauchern etc.) der Elektrizitätsversorgung.

Smart Meter: (engl.) als Begriff für intelligente Gas-, Wasser- oder Stromzähler, die digital Daten empfangen und senden und in ein Fernübertragungsnetz eingebunden sind.

VLC: (engl.) Visible Light Communication, auch als „LiFi“ bezeichnet – mobile Kommunikation mit den Frequenzen des Lichts.

Wirkung: Durch eine Noxe bedingte physiologisch messbare Veränderung eines Organismus, der biotischen oder abiotischen Umwelt oder eines Sachguts.

WLAN: (engl.) Wireless Local Area Network: drahtloses lokales Netzwerk, bezeichnet ein lokales Funknetz.

 

Kühling, Wilfried: Unzureichende Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und Pflichten. In: Derselbe: 5G/Mobilfunk durch Gesamträumliche Planung steuern. Einführung der Vorsorge vor gesundheitlichen Wirkungen und durch Gesamträumliche Planungsinstrumente. Broschüre. Schriftenreihe der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V., Heft 13. 2021, Seite 26 – 36.

 

Zur Erinnerung:

Wie umgehen mit dem Stand wissenschaftlicher Erkenntnis? – Internationales Symposium der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V. „Biologische Wirkungen des Mobilfunks“ in Mainz. 06.10.2019.

Prof. Dr.-Ing. Wilfried Kühling, Deutschland

Studium der Raumplanung an der Universität Dortmund, Diplomprüfung 1979. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät Raumplanung, Promotion zum Dr.-Ing. 1985. In den Jahren 1986 bis 1993 als wissenschaftlicher Mitarbeiter Aufbau und Leitung des Sachgebietes Umweltplanung im Amt für Umweltschutz der Stadt Wuppertal. Danach wissenschaftlicher Angestellter der Universität Dortmund; Habilitation 1998. Seit 1996 Professur Raum- und Umweltplanung am Institut für Geowissenschaften und Geographie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Ehrenamtliche Tätigkeiten: Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des BUND, Mitglied im Bundesvorstand des BUND, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der UVP-Gesellschaft.

Zum Vortrag:

Seit Beginn der Umweltdiskussionen in den 1970er Jahren steht die Frage im Raum, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in politische Entscheidungen überführt werden können. Bereits in den 1990er Jahren hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine Art Wildwuchs bei fast allen Standards, Grenz- und Richtwerten festgestellt. Oft sind weder die Zusammensetzung von Gremien bekannt, noch deren Legitimation, zugehörige Messverfahren etc. Dieser unhaltbare Zustand wurde durch eine Risikokommission zweier Bundesministerien Anfang der 2000er Jahre angegangen und es wurde dort eine fachlich und politisch angemessene Lösung erarbeitet. Unter Teilnahme der gesellschaftlich relevanten Gruppen wurde dort im Konsens ein Verfahren entwickelt, welches dem jahrzehntelangen Mangel abhelfen sollte. Die nicht erfolgte Umsetzung in ein ebenfalls vorgeschlagenes Gesetz lässt Interpretationen zu, wie sie u. a. in der KI-Schrift „Gegen Irrwege in der Mobilfunkpolitik“ anklingen.

Am Beispiel der elektromagnetischen Felder werden die mangelhafte und unvollständige Überführung der vorliegenden toxikologischen und empirischen Kenntnisse in entsprechende Bewertungen zum Schutz vor Gesundheitsgefahren und zu Vorsorge diskutiert. Beurteilungsmaßstäbe für nieder- und hochfrequenter Felder werden vorgestellt. Aufgrund der heute zu beklagenden Mehrfachbelastung des Menschen durch vielfältige, sehr verschiedene und gleichzeitig einwirkende Umweltnoxen kann festgestellt werden, dass die bisherige „Beweisführung“ über einen kausalen Nachweis von Einzelwirkungen obsolet, wenn nicht gar unwissenschaftlich ist.

 

Zur Erinnerung:

Wie mit Wahrheiten und vielen Wahrheiten umgehen? – 7. BfR-Stakeholderkonferenz. Berlin, 15.11.2018

 

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